Omar
Bildung ist immer ein wichtiges Thema in meiner Familie gewesen. Mein Vater und meine Mutter haben studiert und sind beide Ingenieure von Beruf. Sie kommen aus unterschiedlichen Dörfern, jedoch sind sie nach ihrer Heirat gemeinsam in die Stadt Idleb gezogen, wo ich geboren und aufgewachsen bin. In der Stadt gibt es mehr Bildungseinrichtungen und dementsprechend mehr Möglichkeiten, Wissen zu erwerben. Ich habe vier Geschwister, jeweils zwei Schwestern und zwei Brüder. Meine beiden Schwestern haben in der Heimat Pharmazie studiert. Mein älterer Bruder studiert in Deutschland Informatik und mein kleiner Bruder besucht in Syrien die neunte Klasse.
Mein Vater ist 2008 für alle überraschend eines natürlichen Todes gestorben. Meine Mutter hat sich danach entschieden, in der Stadt zu bleiben, obwohl dies für sie sowohl finanziell als auch lebenspraktisch immer schwieriger wurde. Durch den Kriegsausbruch, also ab dem Jahr 2012, wurde meine Heimatstadt Idleb großflächig zerstört, wodurch meine Mutter ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, da es bis heute praktisch keine Arbeitsaufträge mehr gibt und das Gebiet noch immer sehr umkämpft ist. Die Situation in Syrien allgemein und in meiner Stadt insbesondere ist von Jahr zu Jahr gefährlicher geworden. Meine Familie und ich mussten zuerst in ein Dorf fliehen und danach nach Aleppo umziehen, damit mein Bruder und ich weiterhin die Schule besuchen konnten. Nach meinem Abschluss der neunten Klasse musste ich Aleppo verlassen, da einerseits das Leben dort zu teuer war und wir keine eigene Wohnung hatten, sondern nur bei Freunden unterkommen konnten; andererseits sah ich damals schon etwas älter als 15 Jahre aus, weshalb die Soldaten mich immer wieder zum Wehrdienst bzw. Kriegsdienst mitnehmen wollten. Wehrdienst ist eine Pflicht in Syrien und wegen des Kriegs wollte das Militär so viele junge Männer wie möglich rekrutieren. Das gleiche ist mir passiert als ich zwischenzeitlich zurück im Dorf war. Assad-Gegner bzw. die Rebellen wollten mich dort ebenfalls in den Krieg ziehen, jedoch auf ihrer Seite. Ich wollte aber nicht töten und nicht getötet werden, weshalb ich mich letztlich dazu entschieden habe, aus Syrien in Richtung Europa zu fliehen.
Der Fluchtweg hat für mich etwa 18 Tage gedauert. Dabei bin ich durch die Türkei, die griechischen Inseln, Athen, Serbien, Ungarn und Österreich bis nach Deutschland geflüchtet. Ich habe die Grenzen immer illegal, meist zu Fuß überqueren müssen, von der Türkei zur griechischen Insel mit dem Boot, was sehr gefährlich war. Den Rest des Weges habe ich, mal mehr mal weniger abenteuerlich, mit Autos, Bussen und Zügen hinter mich gebracht.
Mein erstes Ziel in Mannheim war es, die Sprache so schnell wie möglich zu lernen, um mit den Leuten kommunizieren und den Besuch einer staatlichen Schule so bald wie möglich fortzusetzen. So habe ich angefangen, die Sprache zuerst Online zu lernen bis ich mich für einen Sprachkurs anmelden konnte. Ich habe sogar parallel mehrere Sprachschulen besucht, wie z.B. IB, Goethe-Institut und Tertia. Nach einem Jahr war es mir möglich, an der Marie-Curie-Schule die zehnte Klasse zu besuchen, und so meinen Realschulabschluss zu machen, denn mein syrisches Zeugnis der neunten Klasse wurde nur als Hauptschulabschluss anerkannt. Erst mit einem Realschulabschluss konnte ich mich allerdings an einem beruflichen Gymnasium bewerben, was von Anfang an meine Absicht war.
Nach meinem erfolgreichen Realschulabschluss der Realschule wurde ich durch meine Sprachschullehrerin Frau Nehls mit Herrn Hauck bekanntgemacht. Er ist zuständig für die Beratung und Zulassung an der Carlo-Schmid-Schule. Er stellte einen Antrag an die Heidelberger Landfried-Stiftung. Diese Stiftung erklärte sich bereit, die Hälfte des Schulgeldes für meine drei Schuljahre bis zum Abitur zu tragen, während die Carlo-Schmidt-Schule selbst die andere Hälfte übernahm. Im zweiten Jahr ist das Niveau des Deutschunterrichts deutlich angestiegen, ich musste zum Beispiel literarische und philosophische Lektüre bewältigen und viele Texte kontextualisieren und interpretieren. Außerdem musste ich pro Halbjahr eine Präsentation vortragen. Dafür war ein Laptop sehr hilfreich. Sowohl die Deutschnachhilfe, die mir ein deutsch-italienischer Übersetzer aus Heidelberg regelmäßig, ein bis zweimal pro Woche erteilt hat als auch der Laptop wurden von der Stiftung vermittelt und finanziert. Ohne die Unterstützung der Stiftung hätte ich das Abitur wahrscheinlich nicht, oder nur mit viel Mühe und Entbehrungen schaffen können. Ich bin ihr daher sehr verbunden und dankbar.
Ab dem kommenden Wintersemester möchte ich an einer Technischen Universität, voraussichtlich an der TU Darmstadt, ein Studium der Elektro- und Informationstechnik aufnehmen, zumal ich an einer pragmatischen Berufsperspektive interessiert bin und in den letzten drei Schuljahren am meisten Spaß in den Fächern Mathe und Physik hatte.